Minia Biabiany
J’ai tué le papillon dans mon oreille
Ich habe den Schmetterling in meinem Ohr getötet
19.06.–08.08.2021
Materialien, Klänge, Videos und Bilder arrangiert Minia Biabiany (*1988, Guadeloupe) zu räumlichen Erzählungen. Diese handeln von gewaltvollen Geschichten, die sich in die karibische Inselgruppe Guadeloupe und die Körper ihrer Bewohner*innen eingeschrieben haben. Sie berichten von fortwirkenden ökologischen und politischen Folgen der Plantagenwirtschaft und Sklaverei während der französischen Kolonialherrschaft sowie von der anhaltenden Kontamination des Ökosystems durch den Einsatz des Pestizids Kepone ab den 1970er Jahren. Wie lässt sich unter Bedingungen des kolonialen Raubbaus, der Ausbeutung und Zerstörung eine Verbindung zum Land aufbauen?
Biabianys Praxis zeichnet sich durch eine besondere Aufmerksamkeit für die Beschaffenheit, Verwendung und Bedeutung von Materialien aus. Die auf dem Boden aus Erde aufgehäuften Linien verweisen in ihren sich daraus ergebenden Mustern auf eine traditionelle Webtechnik, die in der Karibik zur Herstellung von Fischreusen genutzt wurde. Biabiany verwebt und verflicht in der westlichen Geschichtsschreibung vergessene Erzählungen ihres Heimatlandes, das sich heute als eines der Übersee-Departements Frankreichs in neokolonialen Abhängigkeitsverhältnissen wiederfindet.
Der Bewegung und intuitiven Erkundung im Raum sowie der sinnlich-leiblichen Raumerfahrung misst Biabiany eine entscheidende Bedeutung bei, um die sich dort überlagernden und durchmischenden Erzählungen in Relation setzen zu können. Sie unternimmt den Versuch, die Dichotomien von ‚Natur‘ und ‚Kultur‘, ‚Subjekt‘ und Objekt‘ aufzuheben und mehr-als-menschlichen Entitäten Gehör zu verschaffen. So können Verbindungen und Abhängigkeiten innerhalb eines Territoriums sichtbar gemacht werden: Muscheln treten als Kommunikationsmedien auf; herabhängende Ketten aus geformtem farbigem Wachs sowie verbrannte Holzstücke werden dem Wind als Votivgaben dargereicht, da diesem heilende und Widerstand leistende Kräfte zugesprochen werden; verbrannte bootskörperähnliche Weidenkörbe verweisen in ihrer fragilen Beschaffenheit auf Ephemeralität und Schutzlosigkeit – auf Zustände, die sich in einer Vielheit von Sprachen, Stimmen und Bildern im Ausstellungsraum aufspüren lassen. In ihrer Auseinandersetzung mit Materialität, Seins- und Wirkweisen mehr-als-menschlicher Lebewesen führt Biabiany vor Augen, wie die Ausbeutung ökologischer Ressourcen untrennbar mit dem Fortbestehen kolonialer Machtstrukturen verbunden ist.
Ich habe den Schmetterling in meinem Ohr getötet im Kunstverein Freiburg ist Biabianys erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland und eine Weiterentwicklung der 2020 in Le MAGASIN des horizons in Grenoble gezeigten Schau.
Die Künstlerin dankt dem Laboratoire d’Archivage de l’Oralité in Fort-de-France, Martinique.
In Kooperation mit dem Le MAGASIN des horizons:
Programm
Fr, 18.06.2021, 18–22 Uhr
Öffnung der Ausstellung
Sa, 19.06.2021, 15 Uhr
Künstleringespräch mit Minia Biabiany
Di, 06.07.2021, 19 Uhr
Facing the Colonial Toxicity of the World: The Case of the French Caribbean
Vortrag von Malcolm Ferdinand
(online)
Di, 13.07.2021, 19 Uhr
Freiburg und die deutsche Kolonialgeschichte
Vortrag und Gespräch mit Dr. Heiko Wegmann
von freiburg-postkolonial.de
Di, 20.07.2021, 19 Uhr
Mitglieder laden ein
Martinique, eine Landschaft der Welt
Ein Abend zu Édouard Glissant mit Beate Thill
Do, 22.07.2021, 19 Uhr
Kuratorenführung mit Heinrich Dietz
Do, 05.08.2021, 19 Uhr
Öffentliche Führung mit Theresa Rößler